Egon Köhnen -
Mittellinienchef und Pokalmeister
"Wer trinken kann, kann auch Fußball spielen"
Text: A. Nöllenheidt, Fotos: Sven Simon
(aus dem Buch "Don Hennes und die Liebe zur Liga - Geschichten aus
der Bundesliga 1973-1982" von Ulrich Homann/Achim Nöllenheidt
(Hg.), ISBN 3-88474-018-0, Klartext Verlag. 1992.)
"Wäre nur der Beinbruch nicht gewesen, wer weiß, wo ich dann noch
hingekommen wäre." Egon Köhnen sitzt in seinem Versicherungsbüro
und läßt die entscheidenden Momente seiner 70er Jahre an sich vorüberziehen.
Langsam hat er sich warmgedacht, erzählt bedächtig und kommt dann
unvermittelt auf den Punkt: "Ein ganzes Jahr bin ich nach meiner
schweren Verletzung nicht mehr richtig hochgekommen. Das rechte
Bein war ständig taub."
Egon ist sich sicher, daß er damals zum erweiterten Notizbuch-Aufgebot
von Helmut Schön gehörte. Doch als die Knochen knirschten (was auch
in den sogenannten Techniker-Jahren des öfteren passierte), war
sogar der Stammplatz bei Fortuna Düsseldorf fürs erste weg.
Dabei wollte der junge Verteidiger gar nicht unbedingt Fußballer
werden. Zur Diskussion standen zu Schüler-Zeiten auch noch Handball
oder Leichtathletik. Erst eine Einladung zur Sportschule Kaiserau
brachte dem Talent von der Spielvereinigung Versmold die nötige
Entscheidungshilfe. "Es waren 120 junge Spieler zu einer Sichtung
eingeladen und nur zwei durften ihre Adresse dalassen."
Egon schaffte den Einzug ins Glücks-Duo, malte Name und Anschrift
auf und fand sich später in der Schülernationalmannschaft wieder.
Mit Berti Vogts und Horst Köppel, der in diesen Jahren ein guter
Freund wurde ("wir haben uns lange Briefe geschrieben"), hörte Egon
auch in der A-Jugend-Eliteauswahl auf Heddergotts väterliche Befehle.
Irgendwann kamen dann ein paar Herren aus Düsseldorf nach Versmold
und holten Egon ab. Einfach war das nicht, denn Egons Mutter hatte
wieder geheiratet und so fanden die geheimnisvollen Trenchcoats
keinen Köhnen. Als sie sich endlich durchgefragt hatten, mußte Egon
erst vom Bolzplatz geholt werden. Egon bekam ein Mansardenzimmer
ohne fließend Wasser und 16.000 Mark Handgeld für zwei Jahre. Mit
Schüssel und Kanne hielt er in seinem ersten eigenen Heim drei Jahre
durch und wurde Stammspieler bei der Fortuna. Und verließ sie nicht
wieder. Die 272 Bundesligaspiele bis 1981 bleiben ein Zeichen der
Treue.
Die großen Sprünge machte Egon auch ohne Beinbruch nicht. Die Höhepunkte
der Fortuna lagen nunmal nicht im normalen Bundesliga-Alltag. Dafür
gab es zwischen 1978 und 1980 den Pokalmeister Düsseldorf.
Dreimal in Folge konnte die Mannschaft vom Flinger Broich das deutsche
Endspielplakat mit ihrem Vereinsemblem verzieren, zweimal den geliebten
Pott in der eigenen Tasche verstauen. Kurioserweise wurde das einzige
verlorene Finale (1978 mit 0:2 gegen den 1.FC Köln) zum Fahrkartenschalter
der meisten Auslandsreisen. Die Kölner, die im gleichen Jahr auch
noch die Meisterschale zu "ertragen" hatten, "ließen" die Düsseldorfer
bis ins Finale des Europacups der Pokalsieger vortreten.
Ein sagenhaftes Erlebnis war das 3:4 nach Verlängerung gegen den
FC Barcelona im Baseler St.-Jakob-Stadion auf jeden Fall. "Als wir
mit dem Zug in den Düsseldorfer Bahnhof einfuhren, hörte ich ein
lautes Gegröle und dachte, was ist denn da los." Egon konnte sich
einfach nicht vorstellen, daß die alle wegen uns da waren. Als seine
Elf von Tausenden Düsseldor-fer Anhängern zum Rathaus getragen wurde,
war er schon längst nicht mehr Herr seiner Sinne. "Drei Tage wie
im Delirium", lächelt Egon verlegen.
Ansonsten war ja eher das Fortuna-Publikum etwas verlegen. Wenn
es überhaupt kam. Meist ziemlich ruhig ging es auf den Rängen der
Bürostadt an der Düssel zu. "Da mußte immer was Besonderes passieren",
um die Leute von ihrer Fußboden-heizung wegzulocken. Dabei gab es
nicht überall so hochkarätige Namen wie Reiner Geye, Dieter Herzog
oder die Allofs-Brüder zu bestaunen. Mit ihnen und den Lokalmatadoren
Baltes, Zewe, Brei, Zimmermann und Seel erkämpfte sich Egon zweimal
dritte Plätze in der Meisterschaft, während das fehlende Fan-Echo
wohl bei benachbarten Galopprennen auf Platz setzte. In einem Punkt
gibt Köhnen den Pferdeliebhabem recht: "Für einen Titelgewinn hat
es bei uns nie gereicht." Zwischen Platz fünf und dreizehn pendelte
sich die "einsame" Fortuna meistens jenseits von Gut und Böse ein.
Die Blumen und den Pott fest im Griff: Egon Köhnen nach
dem
Pokalsieg gegen den 1. FC K*** 1980.
Noch heute spielt der treue Egon mit vielen seiner damaligen Kollegen
in einer Mannschaft. Und bei den Altherren-Spielen werden regelmäßig
die "alten Geschichten" herausgekramt. "Vielleicht lag es daran,
daß wir von den Medien nicht auf Schritt und Tritt überwacht wurden."
Egon & Co. konnten es sich jedenfalls ohne größere Schlagzeilen
leisten, mal so richtig "einen drauf zu machen". "Wir haben manch-mal
bis morgens früh gesoffen", berichtet Köhnen zögerlich. Egons Spezialitätentag
war der Montag. Jeder wußte, daß sich der Mann mit dem lichten Haarschopf
am Wochenanfang immer unter die Altstadtbesucher mischte. "Das ging
dann so lange, wie es eben ging."
Ähnlich gelockert ging es auch im Vereinsheim der Fortuna zu. "Wir
haben oft alle zusammen gegessen und hinterher ist es schon mal
lauter geworden. Das war ein Vereinsleben, wie man sich das so vorstellt."
Selbst der ernste Dietrich Weise, neben Heinz Lucas die prägende
Trainergestalt für Köhnen, ließ da manches durchgehen, so lange
die Platz- und Thekengemeinschaft etwaige Atemnot oder Gliederschwere
auf dem Rasenviereck überspielen konnte, Das verbot schon der Ehrenkodex:
"Wer trinken kann, kann auch Fußball spielen." Genauso wie der Montagabend
war auch Egons Fußball--Freiraum klar geregelt. "Dein Feld geht
nur bis zur Mittellinie. Dort versuchst Du den Ball anzunehmen und
sauber weiterzuspielen." Weises Spruch machte den früheren Mittelfeldspieler
endgültig zum Defensiv-Künstler. Wenn die Fortuna mit Zewe und Zimmermann
stürmte, durfte sich Egon als "Mittellinienchef" fühlen.
An herrliche Spiele, besonders gegen die Bayern erinnert sich Egon.
Herausragend die "Stierkämpfe" gegen "Bulle" Roth, ergreifend die
Hatz nach des Kaisers ewig sauberem Trikot und, als I-Tüpfelchen
sozusagen, das sensationelle 6:5 nach 1:3-Rückstand 1974/75. Aber
"selbst bei deftigen Niederlagen (0:5 und 1:7!) hat es gegen die
Münchener immer Spaß gemacht'. Gegen den 1.FC Köln oder den VfB
Stuttgart war das anders: "Ich weiß nicht, woran das lag. Die konnte
man einfach nicht ab."
Erst nach seinem Karriere-Ende bemerkte Egon Köhnen, wie sehr er
sich an das ständige Auf und Ab der Bundesligaspieltage gewöhnt
hatte. "Mit dem Einerlei danach kam ich erst überhaupt nicht zurecht."
Um sein Gefühlsleben weiter im gewohnten Trab zu halten, wäre er
nur zu gerne Trainer geworden. Doch dieses Vorhaben scheiterte an
Ida. Und die kam von einem anderen Stern.
Egons schwärzeste Stunde schlug im Duisburger Wedaustadion.
"Die lebte in einer Wohngemeinschaft. Sie wissen schon, etwas linkslastig.
Abends saßen da immer alle um den Tisch, oft über zehn Leute, und
dann wurde gequatscht. Ich kam in den Kreis, schnieke angezogen,
hatte Kohle und ein sauberes Auto. Aber das interessierte die gar
nicht. Für die war es wichtig, was einer zu sagen hatte. Die waren
irgendwie angezogen und es gab fast jeden Tag Spaghetti und Rotwein.
Aber das war auch egal."
Da kam der gute Egon, dessen erste Ehe mittlerweile geschieden war,
auch mit der tiefgreifenden Erkenntnis, "die Zeit hat sich verändert",
nicht mehr hin. Alte Bastionen wie sein früheres Frauenmotto "Beiwerk
zum Fußball" begannen zu bröckeln. Im Schutt der zerfallenen Lebensordnung
baute sich die wegweisende Frage auf. Traineramt oder Ida. Für beides
hatte der Tag nicht genug Stunden.
Egon stellte sich den Zeichen der Zeit und fährt heute mit Ida,
seiner zweiten Ehefrau, "zum verlängerten Wochenende nach Südfrankreich
oder so". Das Bundesligageschehen verfolgt er in lockerer Verbundenheit
und nur manchmal, wenn das Telefon klingelt und mal wieder ein Landesliga-Verein
"den Egon auf der Trainerbank bräuchte", juckt es ihm noch in den
Füßen. "Da bin ich noch heute gleich in heller Aufregung."
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